LAG SH - Eine Abmahnung ist vor einer Kündigung kann auch bei vorsätzlichem Verstoß gegen eine Sicherheitsanweisung erforderlich sein
(LAG SH, Urteil vom 14.08.2007 - 5 Sa 150/07) Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat entschieden, dass vor einer fristlosen Kündigung wegen eines Verstosses gegen die Sicherheitsvorschirften eine Abmahnung erforderlich seinen kann.
Tatbestand:
Die
Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen
Kündigung sowie einer vorsorglich ausgesprochenen weiteren
ordentlichen Kündigung.
Der am ...1955 geborene und zu 60 %
schwerbehinderte Kläger ist seit dem 06.06.1986 als
Maschinenführer bei der Beklagten beschäftigt. Er ist ledig
und keinen Kindern gegenüber zum Unterhalt verpflichtet.
Der
Kläger ist im Bereich PKW-Bremsbelag Presserei tätig und seit
2002 an einer automatischen Presse, einer so genannten Shuttlepresse
eingesetzt (Bereich FS 3.1). Die Shuttelpresse befindet sich in einem
Gitterkasten, der durch eine Glastür zu begehen ist. Diese
Tür lässt sich nur öffnen, wenn die Shuttlepresse
energielos ge-schaltet ist. Beim Umrüsten der Shuttlepresse auf
andere Produktionsvarianten muss aus der abgeschlossenen Produktion
verbliebene Rohmasse sowohl aus den För-derschnecken als auch aus
dem Drehverteiler entfernt werden. Beide Teile der Anlage müssen
mithin vor dem Wechsel der Masse von alten Belagrückständen
gereinigt werden. Bei der halbautomatischen Entleerung befördert
die zunächst gestartete Shuttlepresse über den Drehverteiler
die restliche Masse in das so genannte Press-nest. Sodann wird die
Presse gestoppt, die Tür geöffnet und die Masse mittels eines
ca. 50 cm langen Staubsaugerrüssels aus dem Pressnest entfernt.
Danach wird die Tür wieder geschlossen, die Anlage neu gestartet
und der Entleerungsvorgang wie-derholt, bis sich in den
zuführenden Maschinenteilen der Presse keine Reibbelagmasse der
alten Qualität mehr befindet. Dieser Entleerungsvorgang muss 10
bis 15 Mal wiederholt werden.
An der Shuttlepresse ist deutlich
sichtbar eine Betriebsanweisung angebracht (Bl. 108 d.GA.) Hiernach ist
u.a. bei Umbau- und Rüsttätigkeiten „vor Beginn der
Tätigkeit die Steuerung der Anlage auszuschalten“ und bei
Einricht- und Einstellarbeiten darf die Steuerung etc. erst nach den
Umbauarbeiten aktiviert werden. Daneben existie-ren folgende
Arbeitsanweisungen und Sicherheitshinweise im Betrieb der Beklagten die
auszugsweise folgende Vorschriften enthalten:
- Arbeitsanweisung Nr. 001 (an alle Arbeitnehmer; Bl. 53 f. d.GA.)
„14) Greifen sie niemals in laufende Maschinen
15) Schutzeinrichtungen dürfen niemals entfernt oder wirkungslos gemacht werden“
- Arbeitsanweisung Nr. 012 (Bereich FS 3.1, Bl. 55 f. d.GA.)
„4)
Betreten Sie den Bereich einer Anlage die repariert oder eingerichtet
wird, melden Sie sich bei dem Maschinenführer oder Instandhalter
5) Sprechen Sie die erforderlichen Arbeiten vorher untereinander ab
6) Bei Arbeiten im Handbetrieb ist Sichtkontakt erforderlich“
- Arbeitsanweisung Nr. 06/01 (Bereich FS 3.1, Bl. 51 d.GA.)
„Am
23.05.01 hatten wir einen Arbeitsunfall am Shuttle 15, der den
Mitarbeiter die Hand hätte kosten können. Ein
Sicherheitsschalter an der Anlage war manipuliert und der Mit-arbeiter
führte Reinigungsarbeiten bei laufender Maschine aus. Hierbei
wurde seine Hand dermaßen eingeklemmt, dass er sich nicht selbst
befreien konnte. Bitte nehmen Sie die-sen schlimmen Vorfall als Anlass
für eine Unterweisung mit folgendem Inhalt:
Es ist strengstens untersagt, Sicherheitsvorrichtungen in irgendeiner Form zu manipulie-ren oder außer Kraft zu setzen.
Niemals in laufende Maschinen greifen.
Ein Verstoß kann arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung nach sich ziehen.
Man gefährdet sich selbst und die Kollegen.
Im Zweifelsfall die Anlage außer Betrieb nehmen und den Vorarbeiter informieren.“
- Arbeitsanweisung Nr. 01/04 (Bereich FS 3.1, Bl. 109)
„Arbeiten
mehrere Mitarbeiter an einer Anlage, muss besondere Sorgfalt darauf
verwand werden, die Kollegen nicht zu gefährden.
Insbesondere
ist daher bei allen Einrichtarbeiten, Umbauten, Reparaturen eine
genaueste Absprache erforderlich. … Betreten Sie den Bereich der
Anlage die repariert oder einge-richtet wird, melden Sie sich bei dem
Maschinenführer oder Instandhalter. Sprechen Sie die
erforderlichen Arbeiten vorher untereinander ab. Bei Arbeiten im
Handbetrieb ist Sichtkontakt erforderlich. …“
- Arbeitshinweis Maschinensicherheit vom 05.10.2005 (Bl. 45 f. d.GA.)
„-
Der Betrieb von Anlagen mit Ausser-Funktion gesetzten
Sicherheitseinrichtungen ist verboten und kann eine Abmahnung zur Folge
haben
- Das Tolerieren der Ausser-Funktion gesetzten
Sicherheitseinrichtungen durch Vorge-setzte kann eine Abmahnung zur
Folge haben“
Daneben erstellte die Beklagten eine
Arbeitsanweisung für das „Umrüsten
Shuttle-pressen“, wegen des Inhalts wird auf Bl. 40 d.GA.
verwiesen.
Während der Spätschicht am 23.08.2006 erhielt
der Kläger als verantwortlicher Ma-schinenführer die Weisung,
die Shuttlepresse von alten Belagrückständen zu reini-gen.
Der Kläger führte die Entleerungsvorgänge zusammen mit
dem weiteren Ma-schinenführer M. aus. Er stellte die Shuttlepresse
energielos, um dem Kollegen M. Zutritt in die Gitterschutzvorrichtung
der Shuttlepresse zu gewähren, damit dieser mit einem Saugrohr das
Pressnest entleeren konnte. Sodann schloss er die Tür wieder
und
fuhr die Maschine im Handbetrieb wieder an. Zwischen den
Entleerungsvorgän-gen blieb der Arbeitnehmer M. in dem begehbaren
Sicherheitsbereich der Maschine. Hierbei geriet er mit der rechten Hand
in ein hin- und herfahrendes Maschinenteil, sodass die Kuppe des
kleinen Fingers abgetrennt wurde.
Nach Zustimmung des
Integrationsamtes und Anhörung des Betriebsrats kündigte die
Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom
19.09.2006 (Bl. 6 d.GA.) fristlos und mit weiterem Schreiben vom
07.11.2006 nochmals vorsorglich ordentlich zum 30.06.2007. Der
Arbeitnehmer M. erhielt ebenfalls eine fristlose, hilfsweise
fristgerechte Kündigung.
Wegen des weiteren Sach- und
Streitstands in erster Instanz, insbesondere des streitigen
Parteivorbringens, sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf
den Tatbe-stand des angefochtenen Urteils einschließlich der
Inbezugnahmen verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG.
Das
Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage mit Urteil vom
02.02.2007 in vol-lem Umfang stattgegeben. Nach dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip sei vorliegend vor
Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung eine Abmahnung
erforderlich ge-wesen. Eine Abmahnung sei nur dann entbehrlich gewesen,
wenn der begangene Verhaltensverstoß derart schwerwiegend sei,
dass schlechterdings nicht erwartet werden könne, dass der
Arbeitnehmer zukünftig eine Arbeitsleistung entsprechend anpasst,
Wiederholungsfälle zu erwarten seien und dem Arbeitgeber so nicht
zuge-mutet werden könne, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.
Dies sei vorliegend ange-sichts der beanstandungsfreien und
langjährigen Beschäftigung des Klägers nicht der Fall.
Auch wenn es zu einem folgenschweren Unfall gekommen sei, müsse
be-rücksichtigt werden, dass der Kläger aufgrund seines
Lebensalters nur schwer eine Anschlussbeschäftigung finden werde
und er die gerügte Reinigungspraxis zu zweit aus
Zeitersparnisgründen und damit im Interesse der Beklagten
gewählt habe. Aus den gleichen Gründen sei auch die
ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt.
Gegen dieses
ihr am 12.03.2007 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 04.04.2007
beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Berufung eingelegt und
diese nach gewährter Fristverlängerung bis zum 12.06.2007 am
12.06.2007 begründet.
Die Beklagte trägt vor,
dass
gemessen an der BAG-Entscheidung vom 12.01.2006 – 2 AZR 179/05
– eine Abmahnung entbehrlich gewesen sei. Das Fehlverhalten des
Klägers sei besonders gravierend gewesen, da der Kläger gegen
Sicherheitsanweisungen verstoßen habe. Zudem habe er durch den
Sicherheitsverstoß Leib und Leben eines Kollegen gefähr-det
und diese Gefahr habe sich durch den Verlust des Fingers auch
realisiert. Im Üb-rigen habe das Arbeitsgericht im Rahmen der
Interessenabwägung keine Aspekte berücksichtigt, die zu ihren
Gunsten sprächen. Ihr Beendigungsinteresse überwiege das
Bestandsinteresse des Klägers. Zu ihren, der Beklagten Gunsten,
sei zu berück-sichtigen, die Art und Schwere der
Pflichtwidrigkeit, die Betriebsablaufstörungen, der Schutz der
Belegschaft, die Arbeits- und Betriebsdisziplin und der
Ansehensschaden. Der Kläger habe nicht nur gegen die Pflichten
gemäß § 15 Abs. 2 ArbSchG, sondern auch gegen die
bestehenden Warn- und Sicherheitsvorschriften verstoßen, die sich
u.a. direkt an der Presse befunden hätten. Der Kläger habe
vorsätzlich und unter Außerachtlassung aller
Sicherheitsgebote gehandelt, sodass ihn ein besonders schweres
Verschulden an dem Unfall treffe. Ihr, der Beklagten, sei auch kein
Mitverschulden anzulasten, da die Sicherheitshinweise eindeutige
Verhaltensanweisungen enthielten. Der Kläger könne sich auch
nicht auf eine angebliche Duldung seines Verhaltens berufen, da er sich
über die Zulässigkeit der Missachtung der
Sicher-heitsanweisungen zuvor hätte erkundigen müssen. Zudem
wäre er verpflichtet gewe-sen, sie, die Beklagte, über das
Verletzungsrisiko der praktizierten Reinigungsme-thode zu informieren,
§ 16 Abs. 1 ArbSchG. Zudem sei im Rahmen der
Interessen-abwägung unberücksichtigt geblieben, dass es
aufgrund des Arbeitsunfalls zu Be-triebsablaufstörungen gekommen
sei. Der Schutz der Belegschaft erfordere wegen der Schwere des
Pflichtverstoßes eine außerordentliche Kündigung als
generalprä-ventive Maßnahme. Die Sanktion der Abmahnung
entfalte keine Außenwirkung und sei deshalb hier nicht geeignet.
Zudem müsse sie sowohl gegenüber dem Betriebsrat als auch der
Berufsgenossenschaft mit einem Ansehensschaden rechnen.
Die Beklagte beantragt,
unter
Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Lübeck vom 2.
Februar 2007 zum Aktenzeichen 4 Ca 2531/06 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der
Kläger verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und
vertieft insoweit seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er habe durch das
Öffnen und Schließen der Tür, um den Kollegen M.
hineinzulassen, weder eine Sicherheitseinrichtung außer Kraft
gesetzt noch manipuliert. Zudem seien die Sicherheitsanweisungen hierzu
gerade nicht eindeutig, sondern missverständlich. Für die
strittigen Reinigungsarbeiten exis-tierten keine konkreten Anweisungen.
In den Anweisungen werde vielmehr der Hin-weis erteilt, niemals in
laufende Maschinen zu greifen. Bei der Entleerung bediene sich der
Mitarbeiter indessen eines 50 cm langen Saugrohrs, sodass keinesfalls
in die Maschine gegriffen werde. Zudem habe das Arbeitsgericht zu Recht
den Grund-satz der Verhältnismäßigkeit als verletzt
angesehen. Eine Abmahnung hätte als mil-deres Mittel
gegenüber einer Kündigung dem Kläger für die
Zukunft deutlich vor Au-gen geführt, dass sein Tun nicht geduldet
werde und er folglich weitere Vertragsver-letzungen, insbesondere beim
Reinigen der Maschine, nicht mehr begehen werde. Auch die
Interessenabwägung müsse vorliegend zugunsten des
Klägers ausfallen.
Wegen des weiteren Vorbringens der
Parteien im Berufungsverfahren wird auf den mündlich vorgetragenen
Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
sowie den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 14.08.2007 verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die
Berufung ist zulässig. Sie ist nach § 64 Abs. 2 lit. c ArbGG
statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet
worden, § 66 Abs. 1 ArbGG; § 519 ZPO.
Die Berufung ist indessen unbegründet.
Das
Arbeitsgericht hat den Kündigungsfeststellungsanträgen sowohl
im Ergebnis als auch überwiegend in der Begründung zu Recht
stattgegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde weder durch
die außerordentliche Kündigung vom 19.09.2006 (I.) noch
durch die ordentliche Kündigung vom 07.11.2006 zum 30.06.2007
(II.) beendet.
I. Die fristlose Kündigung vom 19.09.2006 war
gemäß § 626 Abs. 1 BGB unwirksam. Die Voraussetzungen
des § 626 Abs. 1 BGB liegen nicht vor.
1.
Eine außerordentliche Kündigung ist gemäß §
626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt, wenn sie aufgrund eines wichtigen
Grundes ausgesprochen wird, aufgrund dessen es dem Arbeitgeber
unzumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur bis zum Ablauf der geltenden
Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen. Ein wichtiger Grund ist
dann gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die unter Berücksichtigung
aller Umstände und unter Berücksichtigung der Interessen
beider Vertragsteile dem Kündigenden die Fortset-zung des
Vertragsverhältnisses unzumutbar machen. Im Rahmen der
außerordentli-chen Kündigung ist mithin zunächst in
einer ersten Stufe zu prüfen, ob ein arbeitsvertraglicher
Pflichtverstoß vorliegt bzw. der Kündigungssachverhalt
unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich
geeignet ist, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung
abzugeben. In der zweiten Prüfungsstufe ist sodann zu klären,
ob es dem Arbeitgeber im konkreten Fall unter Berücksichtigung
aller in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalles und der
beiderseitigen Interessen unzumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur
für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist
weiterzubeschäftigen (BAG, Urt. v. Urt. V. 07.07.2005 – 2
AZR 581/04 -, AP 192 zu § 626 BGB; BAG, Urt. v. 11.12.2003 –
2 AZR 36/03 -, AP Nr. 179 zu § 626 BGB je-weils m. w. Nachweisen).
Die außerordentliche Kündigung ist mithin nach dem das
Kündigungsrecht beherrschenden Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit nur zulässig, wenn sie die
unausweichlich letzte Maßnahme (ultima-ratio-Prinzip) für
den Kündi-gungsberechtigten ist (BAG, Urt. v. 09.07.1998 – 2
AZR 201/98 -, zit. n. Juris). Bei der Interessenabwägung ist
Maßstab, ob unter Berücksichtigung der im konkreten Fall
schutzwürdigen personenbedingten Interessen des Gekündigten
eine so starke Beeinträchtigung betrieblicher oder vertraglicher
Interessen des Kündigenden vorliegt, dass das
Kündigungsinteresse gegenüber dem Bestandsschutzinteresse des
Gekündigten überwiegt (KR-Fischmeier, 8. Aufl., Rn. 239 zu
§ 626 BGB).
2. Unter Zugrundelegung dieser Voraussetzungen
erweist sich die fristlose Kündigung vom 19.09.2006 als unwirksam.
Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass der Kläger gegen als
selbstverständlich anzusehende Sicherheitsvorschriften
verstoßen hat, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund
zur außerordentlichen Kündigung zu bieten (a)). Indessen hat
die Beklagte unter Berücksichtigung der konkreten Umstände
des Einzelfalles vorliegend nicht den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit gewahrt (b)). Es fehlt vorliegend an einer einschlägigen Abmahnung. Auch die Inte-ressenabwägung musste vorliegend zugunsten des Klägers ausfallen (c)).
a) Der Vorfall vom 23.08.2006 ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB abzugeben.
aa)
Der Kläger hat am 23.08.2006 seine arbeitsvertraglichen Pflichten
zur Einhaltung der bestehenden Sicherheitsvorschriften verletzt. Es
kann insoweit dahingestellt bleiben, ob die zur Akte gereichten
betrieblichen Arbeitsanweisungen und Sicherheitshinweise eindeutige und
unmissverständliche Vorgaben zur Entleerung der Shuttlepressen von
Belagrückständen zur Vorbereitung einer notwendigen
Umrüs-tung enthalten. Denn unstreitig lässt sich der durch
einen Gitterkasten abgegrenzte Sicherheitsbereich der Shuttlepresse nur
begehen, wenn zuvor die Presse energielos geschaltet worden ist. Die
Tür kann nur geöffnet werden, wenn die Shuttlepresse
abgeschaltet ist. Allein nach dem reinen Menschenverstand kann diese
Sicherheits-vorkehrung nur bedeuten, dass der Sicherheitsbereich der
Maschine grundsätzlich nur betreten werden darf, wenn die Maschine
ausgestellt ist. Nur wenn es unum-gänglich ist, dass ein
Arbeitnehmer Reparatur- oder Einstellmaßnahmen an einer laufenden
Maschine vornimmt, darf dieser ausnahmsweise auch bei laufender
Ma-schine in dem Sicherheitsbereich verbleiben. Grundsätzlich darf
die Presse jedoch nur wieder von dem Maschinenführer per
Handbetrieb angestellt werden, wenn sich kein Mitarbeiter mehr in dem
Sicherheitsbereich befindet. Diese Sicherheitsvorschrift folgt aus dem
Umstand, dass sich die Maschine in einem abgeschlossenen
Sicher-heitsbereich befindet, der nur bei Energielosschaltung betreten
werden kann. Dies ist den Mitarbeitern auch bekannt oder hätte
ihnen jedenfalls bei gebotener Achtsamkeit bekannt sein müssen.
Letztlich bestreitet der Kläger auch nicht, gegen das
Sicher-heitsgebot verstoßen zu haben.
bb) Die
vorsätzliche Pflichtverletzung gegen bestehende
Sicherheitsvorschriften ist „an sich geeignet“, eine
fristlose Kündigung zu rechtfertigen (LAG Hamm, Urt. v. 14.11.2003
– 15 Sa 559/03 -, zit. N. Juris; LAG Hamm, Urt. v. 17.11.1989
– 12 Sa 787/89 -, LAGE § 626 BGB Nr. 48). Dies gilt erst
Recht, wenn es sich um Sicher-heitsvorschriften handelt, die erkennbar
zur Abwendung von Gefahren für die Gesundheit und das Leben der
Beschäftigten aufgestellt worden sind und damit zum eigenen Schutz
der Arbeitnehmer. Bei einer Außerachtlassung von elementaren
Si-cherheitsvorschriften, die zu erheblichen Gesundheitsrisiken
führen kann, handelt es sich regelmäßig auch um eine
erhebliche Pflichtverletzung.
Der Kläger hat die Maschine
wissentlich und willentlich und damit vorsätzlich wieder per
Handbetrieb angestellt, obgleich sich der Arbeitnehmer M. noch in dem
Sicher-heitsbereich befand. Hierdurch hat er seine arbeitsvertraglichen
Pflichten in grober Weise vorsätzlich verletzt. Hierdurch hat er
seinen Kollegen einer erheblichen Gefährdung ausgesetzt, die sich
bedauerlicherweise auch realisiert hat.
b) Gleichwohl
war die Beklagte vorliegend aufgrund der konkreten Umstände nach
dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht berechtigt,
eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Vielmehr
hätte sie den Kläger vor Ausspruch der fristlosen
Kündigung abmahnen müssen. Das Abmahnungserfordernis, welches
in § 314 Abs. 2 BGB nunmehr seine gesetzliche Grundlage gefunden
hat, folgt aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
aa)
Pflichtwidrigkeiten im Leistungs- und Verhaltensbereich müssen
grundsätzlich abgemahnt werden, ehe sie zum Anlass einer
außerordentlichen Kündigung ge-nommen werden können.
(1)
Dies ist einerseits Ausfluss der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers,
den Arbeit-nehmer auf die Konsequenzen vertragswidrigen Verhaltens
hinzuweisen und ent-sprechend zu warnen, und trägt andererseits
dem Umstand Rechnung, dass für eine
verhaltensbedingte
Kündigung das sog. Prognoseprinzip gilt. Der Zweck der
Kündi-gung ist nicht eine Sanktion für die
Vertragsverletzung, sondern dient der Vermei-dung des Risikos weiterer
Pflichtverletzungen. Die begangene Pflichtverletzung muss sich deshalb
auch noch in der Zukunft belastend auswirken. Danach ist eine
Abmah-nung erforderlich, wenn es sich um ein steuerbares Verhalten
handelt, das bisherige vertragswidrige Verhalten noch keine klare
Negativprognose zulässt und deswegen von der Möglichkeit
zukünftigen vertragsgerechten Verhaltens ausgegangen werden kann
(BAG, Urt. v. 12.01.2006 – 2 AZR 179/05 -, AP Nr. 54 zu § 1
KSchG 1969 ‚Ver-haltensbedingte Kündigung’; BAG, Urt.
v. 27.04.2006 – 2 AZR 415/05 -, AP Nr. 203 zu § 626 BGB).
Eine Negativprognose wird regelmäßig erst dann getroffen
werden können, wenn der Arbeitnehmer trotz einschlägiger
Abmahnung weiterhin seine Ver-tragspflichten nicht
ordnungsgemäß erfüllt. Das Abmahnungserfordernis gilt
grund-sätzlich auch bei Verstößen, die maßgeblich
auch den Vertrauensbereich tangieren (BAG, Urt. v. 04.06.1997 – 2
AZR 526/96 -, AP 137 zu § 626 BGB; BAG, Urt. v. 01.07.1999 –
2 AZR 676/98 -, AP Nr. 11 zu § 15 BBiG).
(2) Eine vorherige
Abmahnung ist unter Berücksichtigung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes indessen ausnahmsweise
entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz
Abmahnung nicht erwartet werden kann (BAG, Urt. v. 12.01.2006 – 2
AZR 179/05 -, a.a.O.). Einer Abmahnung bedarf es hiernach nicht, wenn
der Arbeitnehmer im Einzelfall aufgrund der Schwere der
Pflichtverletzung von vornherein nicht damit rechnen kann, dass der
Arbeitgeber dieses Verhalten (noch) toleriert. Dies ist insbesondere
dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer die Vertrags-widrigkeit seines
Verhaltens kennt, seine Pflichtverletzung aber gleichwohl
hartnäckig und uneinsichtig fortsetzt (LAG Rheinland-Pfalz, Urt.
v. 09.05.2005 – 7 Sa 68/05 –, NZA-RR 2005, 634 f.).
Gleiches gilt dann, wenn der Vertragsverstoß nicht nur den reinen
Leistungsbereich, sondern auch den Vertrauensbereich tangiert und so
gravierend ist, dass allein der Ausspruch einer Abmahnung das verloren
gegangene Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des
Arbeitnehmers nicht wieder herzu-stellen vermag.
bb) Aufgrund der
konkreten Umstände war eine Abmahnung des Klägers zur
Einhaltung der Sicherheitsvorschriften vorliegend nicht entbehrlich.
(1)
Die Beklagte bestreitet nicht, dass es sich bei der Art und Weise der
im Streit stehenden Reinigungsarbeiten um steuerbares Verhalten
handelt. Der Kläger ist von der Beklagten, als er den
Reinigungsauftrag erhielt, auch nicht eindeutig darauf hin-gewiesen
worden, dass er die geforderten Entleerungsarbeiten nur alleine
durchführen sollte, sodass er notwendigerweise vor dem erneuten
Einschalten der Maschine den Sicherheitsbereich wieder hätte
verlassen müssen. Auch weisen die einzelnen Sicherheitsanweisungen
nicht eindeutig darauf hin, dass die Reinigungsarbeiten, d.h. das
Absaugen der Masse auf dem Saugnest nur bei jeweils abgeschalteter
Maschine erfolgen darf und der Sicherheitsbereich sodann wieder
verlassen werden muss. Ins-besondere ergibt sich die von der Beklagten
vorgeschriebene Verfahrensweise nicht aus der Anweisung
„Umrüsten Shuttlepresse“. Auch die Arbeitsanweisungen
Nr. 001, Nr. 012, sowie Nr. 01/04 gebieten nicht, dass die
Shuttlepresse nur dann wieder an-gefahren werden darf, wenn sich keiner
mehr in dem Sicherheitsbereich befindet. Das Gegenteil ist der Fall. In
diesen Arbeitsanweisungen wird gerade darauf abgestellt, dass besondere
Sorgfalt geboten ist, wenn mehrere Arbeitnehmer an der Anlage
Einrichtarbeiten, Umbauten oder Reparaturen vornehmen. Dann sei stets
eine vorherige Absprache und Sichtkontakt untereinander erforderlich.
Es ergibt sich aus den vorgelegten Arbeitsanweisungen indessen nicht,
dass bei den hier strittigen Um-rüst-Vorarbeiten eine
arbeitsteilige Entleerung der alten Masserückstände durch
zwei Arbeitnehmer aus Sicherheitsgründen verboten ist. So bezieht
sich die Arbeitsanwei-sung Nr. 01/04 auch nur
„insbesondere“ auf Einrichtarbeiten, Umbauten und
Reparaturen.
(2) Etwas Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus
der Arbeitsanweisung Nr. 06/01. Hiernach war es (lediglich) strengstens
untersagt, Sicherheitseinrichtungen in ir-gendeiner Form – wie am
23.05.2001 am Sicherheitsschalter geschehen – zu manipulieren
oder außer Kraft zu setzen und in laufende Maschinen zu greifen.
Unstreitig haben aber weder der Kläger noch der Arbeitnehmer M.
irgendwelche Sicherheits-vorkehrungen manipuliert oder ausgeschaltet.
Im Übrigen legt der Hinweis „Im Zwei-felsfalle die Anlage
außer Betrieb nehmen …“ den Schluss nahe, dass auch
die Be-klagte selbst davon ausgeht, dass Reinigungsarbeiten auch bei
laufender Maschine durchgeführt werden.
(3) Schließlich
muss sich die Beklagte entgegen halten lassen, dass die Vorarbeiter das
vom Kläger und dem weiteren Maschinenführer M. praktizierte
Vorgehen zumin-dest stillschweigend geduldet haben. Die Beklagte hat
die diesbezügliche und unter Beweis gestellte Behauptung des
Klägers nicht substantiiert bestritten. Mit erstin-stanzlichem
Schriftsatz vom 17.01.2007 hat sie lediglich vorgetragen, dass ein
derar-tiges Verhalten von ihr nicht geduldet werde und auf die
Arbeitsanweisung Nr. 06/01 verwiesen, die hierzu indessen unergiebig
ist. Zudem hat die Beklagte im Berufungs-termin erklärt, dass die
Vorarbeiter auf eine entsprechende Befragung geschwiegen hätten.
Das kann nur als „beredtes“ Schweigen, d.h. als
Bestätigung einer still-schweigenden Duldung, gewertet werden. Der
Kläger musste sich mithin durch das Verhalten der Vorarbeiter in
seiner Vorgehensweise bestätigt gefühlt haben. Es sind aus
Sicht der Kammer keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass der Kläger
sich eine Abmahnung in dieser Sache nicht zur Warnung werde dienen
lassen.
(4) Das ultima-ratio-Prinzip ist auch deshalb verletzt,
weil die Beklagte in dem zeit-lich zuletzt erteilten Arbeitshinweis
„Maschinensicherheit“ vom 05.10.2005 die Arbeit-nehmer
darauf aufmerksam gemacht hat, dass der Betrieb von Anlagen mit
Ausser-Funktion gesetzten Sicherheitseinrichtungen verboten sei und
eine Abmahnung zur Folge haben könne. Das gleiche gelte für
das Tolerieren der Außer-Funktion gesetz-ten
Sicherheitsvorrichtungen durch Vorgesetzte. An diese von ihr selbst
aufge-stellte Sanktionenfolge ist die Beklagte grundsätzlich
gebunden (vgl. LAG Bremen, Urt. v. 18.11.2004 – 3 Sa 170/04 -,
zit. n. Juris). Dies gilt hier im besonderen Maß, da es für
die strittigen Reinigungsarbeiten keine eindeutigen und
widerspruchsfreien Arbeitsanweisungen gibt.
Trotz der
schwerwiegenden Gesundheitsfolgen auf Seiten des Arbeitnehmers M. war
die Abmahnung hieran gemessen nicht entbehrlich. Die Fehlerhaftigkeit
seines Han-delns und damit der Vertragswidrigkeit war aufgrund der
nicht eindeutigen Arbeitsanweisungen und der Duldung durch die
Vorgesetzten gerade nicht augenscheinlich. Zudem konnte er aufgrund des
Arbeitshinweises vom 05.10.2005 davon ausgehen, dass die Beklagte die
fehlerhafte Verfahrensweise beim Entleeren des Pressnestes nicht gleich
zum Anlass einer fristlosen Kündigung nehmen werde.
c) Da die
ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 19.09.2006
bereits am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit scheitert,
fällt auch die Interessenabwägung zwischen dem
Auflösungsinteresse der Beklagten und Bestandsschutzinteresse des
Klägers zulasten der Beklagten aus. Es wäre der Beklagte
zuzumuten gewesen, den Kläger vor Ausspruch der fristlosen
Kündigung abzumahnen. Einer durch Kündigung bewirkten
„generalpräventiven“ Wirkung im Hinblick auf die
Einhaltung bestehender Sicherheitsvorschriften bedurfte es ebenfalls
nicht, da die schlimme Verletzung des Arbeitnehmers M. für
jedermann augenscheinlich war.
II. Die aus den gleichen
Gründen ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 07.11.2006
ist gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt.
Hier hat die Beklagte ebenfalls den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit verletzt. Es fehlt insoweit auch
hier eine erfolglose einschlägige Abmahnung. Insoweit kann auf die
Ausführungen zu Ziff. I. 2. b) dieser Entscheidungsgründe
verwiesen werden.
III. Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 ArbGG zurückzuweisen.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision lagen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG.
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Felsmann Kiel